LVZ 14.02.2024
Die Kirche in Delitzsch verzeichnet seit Jahren sinkende Zahlen der Besucher und Besucherinnen ihrer Gottesdienste. Doch das ist keine Frage des Glaubens, meint LVZ-Autor Mathias Schönknecht.
Delitzsch. Konfessionslos. Dies trifft auf einen Großteil der Menschen in Ostdeutschland zu. Religion spielt hier nur eine untergeordnete Rolle. Was nicht heißt, dass die Menschen hier an nichts glauben – eben nur nicht an Gott. Das hat mir Michael Poschlod, bis Herbst 2020 Pfarrer der katholischen Pfarrei „St. Klara“ in Delitzsch, vor einigen Jahren einmal sinngemäß gesagt. Und es stimmt – zumindest für mich. Ich brauche keine Kirche, keine Kostüme, keinen festen Termin am Wochenende, um an eine höhere Macht zu glauben. Ich habe sie gespürt, als mein Kind geboren wurde. Ich spüre sie, wenn der Sänger meiner Lieblingsband bei einem Konzert furchtbar mitreißend und furchtbar schief zugleich singt oder wenn ein ganzes Stadion gemeinsam jubelt.
Es sind zudem Fälle wie der von Norbert Denef aus Delitzsch, die mich persönlich an der Institution Kirche zweifeln lassen. Norbert Denef ist einer der ersten Betroffenen, die den Missbrauch durch katholische Geistliche öffentlich gemacht haben. Das war 1994. 2005 erstritt der heute 74-Jährige als erstes Missbrauchsopfer eine Entschädigung von der Kirche. 25 000 Euro erhielt er vom Bistum Magdeburg für den Missbrauch durch einen Priester und einen Organisten in Delitzsch. Die Übergriffe begannen, als Denef zehn Jahre alt und Messdiener war. Sie endeten mit seiner Flucht aus Delitzsch im Alter von 18 Jahren.
Tausende Betroffene in beiden christlichen Kirchen
Spätestens 2010 wurde einer breiten Öffentlichkeit klar, dass Fälle wie der von Norbert Denef keine Einzelfälle sind. In ganz Deutschland meldeten sich damals Opfer. Es sind Tausende in beiden christlichen Kirchen. Nur wenige Täter wurden verurteilt.
Unbestritten ist dabei, dass sexuelle Übergriffe nichts sind, was die Kirche exklusiv hat. Es kann in jedem Verein, in jeder Institution und im privaten Umfeld vorkommen. Vielmehr geht es um den Umgang mit den Fällen und den Betroffenen.
Unbestritten ist auch, dass die Kirche Gemeinschaft schafft, ein Auffangnetz für Menschen ist, die sonst nirgendwo hingehen können. Die Kirche schafft es, Menschen zu vereinen, und sei es nur in der Ablehnung der Kirche. Und dann ist es doch wieder so, wie es Michael Poschlod einmal in Delitzsch gesagt hat: Jeder Mensch glaubt an etwas – auch wenn es nicht Gott ist.
Quelle: Leipziger Volkszeitung
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