‚Brandbrief‘ von Kristin Denef
Mein Vater, Norbert Denef, wurde in seiner Kindheit vergewaltigt. Einmal? Nein, unzählige Male!!! Sechs Jahre lang verging sich Pfarrer Kamphusmann mehrmals wöchentlich an dem kleinen Jungen. Der damalige Organist der Gemeinde „übernahm“ anschließend den inzwischen Jugendlichen und wurde weitere zwei Jahre lang sexuell übergriffig.
Der Pfarrer war “bekannt dafür”. Siebenmal wurde er strafversetzt in andere Gemeinden. Jedesmal traf er erneut auf kleine Kinder und unwissende Familien. Jedesmal missbrauchte er, mehr als hundert Kinder – gedeckt von Ihrer Katholischen Kirche!!! Ihre damaligen Kollegen wussten davon – sie wussten mehr als manche betroffene Eltern. Denn die Kleinen schwiegen meist, konnten über das, was ihnen angetan wurde, nicht sprechen. Jahrzehntelang… bis es irgendwann vielleicht der eine oder andere inzwischen große Mensch schafft, sich jemandem anzuvertrauen. Doch dann ist es längst zu spät, um Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Die Katholische Kirche, deutsche Politiker und andere Institutionen – sie halten fest daran: an den Verjährungsfristen. Längst ist bekannt und bestätigt, dass Opfer sexualisierter Gewalt gefangen in Scham und Schuldgefühlen meist Jahrzehnte benötigen, bevor sie über ihr Trauma sprechen können. Mein Vater, Norbert Denef, hat viele Jahre unermüdlich politisch darum gekämpft, an seiner Seite betroffene Mitstreiter, dass die Verjährungsfristen bei sexualisierter Gewalt endlich aufgehoben werden. Denn diese Fristen, Herr Bischof Feige, machen es Ihnen sehr leicht! So können Sie den Geschädigten gut zureden, über sie reden, für sie beten, über Aufarbeitung sprechen, ohne wirklich aufzuarbeiten, geschweige denn zu entschädigen…
Ich frage Sie, Herr Bischof Feige, wo waren Sie, als meine Kindheit und Jugend von den Depressionen meines Vaters überschattet wurde? Als er wochenlang verstummte, nicht mit uns sprach, weil die Missbrauchserinnerungen ihn quälten. Wo waren Sie, Herr Bischof, als mein Vater Ihr Bistum bereits 1994 um eine gemeinsame Aufarbeitung des Missbrauchsskandals bat? Ich dachte immer, Sie sollen sich um Ihre „Schäfchen“ kümmern… Also bei uns hat niemals jemand von der Katholischen Kirche angerufen und sich erkundigt, wie es uns als Familie geht und ob man vielleicht helfen und unterstützen kann! Meine Mutter war allein mit zwei Kindern, als mein Vater wochenlang verstummte. Wo waren Sie, Herr Bischof, als mein Vater im Jahr 2010 das netzwerkB gründete, einen Verein, der sich, so stark wie kaum ein anderer, für die Aufhebung der Verjährungsfristen einsetzte? Warum haben Sie uns dabei nicht geholfen?
Der Hausarzt meines Vaters versuchte ihn erfolglos zu einer Vorsorge-Darmspiegelung zu ermuntern. Inzwischen bestätigen Studien, dass Opfer sexualisierter Gewalt häufiger an Darmkrebs erkranken als andere Menschen. Was glauben Sie, Herr Bischof Feige, wieviele Vergewaltigungen ein Mensch ertragen kann? Sehr viele, unzählige… denn die kleinen Kinder sind nicht in der Lage, jemals über das zu sprechen, was ihnen angetan wird und die Täter sind oftmals Vertrauenspersonen. So wie der Herr Kamphusmann. Ein beliebter Pfarrer, mit tiefdunklen Seiten. Was denken Sie, Herr Bischof, wieviel Schmerz das Unterbewusstsein eines misshandelten Kindes speichern kann? Es muss sehr, sehr viel Schmerz sein, wenn der Verstand des erwachsenen Menschen, die Notwendigkeit einer Darmspiegelung erkennen kann, aber das Unterbewusstsein blockiert und man „untenrum“ niemanden ranlässt. Im Jahr 2018 erkrankte mein Vater an Darmkrebs. Wussten Sie, Herr Bischof, dass Darmkrebs eine Krebserkrankung ist, die durch Vorsorgeuntersuchungen zu fast 100% verhindert werden kann? Eigentlich müssten Sie das wissen, denn mein Vater hat es Ihnen längst geschrieben.
Wo waren Sie, Herr Bischof Feige, als mein Vater im Jahr 2018 bei der Krebsbehandlung ein wochenlanges Schmerzmartyrium in der Klinik erleben musste und als meine Mutter Tag und Nacht an seiner Seite wachte und das Pflegepersonal beim Stuhlgang wegmachen unterstützte? Als wir als Familie an unsere seelischen und körperlichen Grenzen stießen, so viel Schmerz und Leid zu begleiten, das hätte verhindert werden können? Wo waren Sie da? Warum haben Sie uns nicht unterstützt? Seit sieben Jahren kann mein Vater das Haus nur noch nüchtern verlassen, manchmal vormittags. Die restliche Zeit des Tages verbringt er mit zahlreichen schmerzhaft quälenden Toilettengängen. Eine Folge der Darmkrebserkrankung. Meine Mutter, die meinen Vater jahrelang liebevoll gepflegt hat, ist nun selber sehr krank geworden. Sie benötigt eine 24-Stunden-Pflege und Betreuung. Jetzt kümmere ich mich seit mehr als einem Jahr sehr intensiv um meine Eltern. Sie wissen das, Herr Bischof, mein Vater hat es Ihnen geschrieben. Und er hat um eine Entschädigung gebeten. Und erneut um eine gemeinsame Aufarbeitung.
Bereits im Jahr 1994 hat mein Vater den damaligen Pfarrer der Kirchengemeinde St. Marien in Delitzsch zum Zwecke der Aufarbeitung dieser dunklen Vergangenheit kontaktiert. Dessen Antwort lautete: „ … Da ich als Pfarrer verpflichtet bin, Schaden von meiner Gemeinde und den mir anvertrauten Menschen fernzuhalten, kann ich Sie bei der Veröffentlichung des mir Mitgeteilten nicht unterstützen … Schlimmstenfalls müsste ich die Folgen miterleben und mittragen…“. Im Jahr 2007 klebte mein Vater einen offenen Brief für den Pfarrer und die Gemeindemitglieder an die Kirchentür. Doch die Tür blieb verschlossen, bis heute. Und dass, obwohl es doch so viele betroffene Kinder von damals gibt.
Im Jahr 2003 war das Bischöfliche Ordinariat Magdeburg endlich zu einer ersten Entschädigungszahlung bereit. Wie Ihnen bekannt ist, Herr Bischof Feige, liegen Tateingeständnisse beider Täter vor! Folgende Klausel sollte die Vereinbarung enthalten: „Der Anspruchsteller wird in Zukunft alles unterlassen, irgendwelche Informationen über die angeblich schädigenden Handlungen oder über die Zahlung eines Geldbetrages zur finanziellen Unterstützung der therapeutischen Maßnahmen Dritten gegenüber zu äußern oder solche Äußerungen durch Mittelspersonen zu veranlassen.“ Herr Bischof, mir fehlten damals die Worte, als mein Vater das kirchliche Schreiben vorlas. So viel Verlogenheit und kriminelle Machenschaften unter dem christlichen Deckmantel.
Papst Johannes Paul II., an den mein Vater sich letztlich hoffnungsvoll wandte, ließ ihm im Jahr 2004 ausrichten, dass er für ihn bete. Ernsthaft??? Das nennt man dann wohl „Katholische Aufarbeitung“? Mein Vater wollte sich nach diesem Schreiben das Leben nehmen.
Warum schreibe ich Ihnen? Herr Bischof Feige, ich bin es jetzt, die sich um die „Scheiße“ kümmert, die Ihre Katholische Kirche verursacht hat! „Scheiße“ – das Wort klingt primitiv. Doch es ist genau das, womit wir uns in unserer Familie seit dem Darmkrebs täglich beschäftigen müssen. Volle Windeln, beschmierte Vorlagen, stinkenden Pupse, Bauchkrämpfe, Durchfälle… Wo sind Sie, Herr Bischof, wenn ich meinen Vater und inzwischen auch meine Mutter pflege? Ich wechsle Windeln, wasche Hintern, bin da, wenn die Depressionen kommen, ich erlebe die Enttäuschung meines Vaters, wenn Sie sich wieder nicht rühren und uns und mich alleine lassen! Warum unterstützen Sie mich nicht?
Was glauben Sie eigentlich, wofür mein Vater eine finanzielle Entschädigung von Ihrer Katholischen Kirche fordert? Wofür benötigt ein alter, sehr kranker Mann noch Geld? Herr Bischof, die Pflege meines Vaters wird zunehmen und schon jetzt kann ich nicht mehr einer vollen Arbeitsstelle nachgehen. Ich habe einen sehr schönen Beruf gelernt. Ich bin Flötistin und gebe vielen Kindern und Erwachsenen Flötenstunden. Meine Arbeit fördert ein friedliches Miteinander. Musik spricht auch ohne Worte und nach der Disharmonie folgt immer Harmonie. Ich möchte meinen Eltern ermöglichen, ihren Lebensabend zuhause verbringen zu können und dafür benötige ich Ihre Unterstützung! Die Entschädigung, die mein Vater fordert, soll eine Absicherung für mich sein. Wenn ich weniger oder gar nicht mehr arbeiten kann, weil die Pflege alle Zeit, Kraft und Geld beansprucht.
Eine faire Entschädigung würde uns helfen, die „Scheiße“ zu meistern. Die „Scheiße“, die Ihre Kollegen verbrochen haben, als sie den Pfarrer siebenmal !!! strafversetzten, ohne Anzeige, ohne Unterstützung der misshandelten Kindern und ihren Familien. Die „Scheiße“, die Sie und Ihre jetzigen Kollegen meinem Vater angetan haben, als sie ihn erneut zum Schweigen zwingen wollten. Das Verbrechen der Katholischen Kirche heißt: Vertuschung, Verleugnung und Verhindern der Aufarbeitung. Ihre Kirche war und ist jahrzehntelang Mitwisser und „sorgte“ mit ihrer Versetzungstaktik dafür, dass der Täter geschützt weiter vergewaltigen konnte und dabei noch eine „große Auswahl“ an Kindern „angeboten“ bekam. Das ist widerlich!!!
Herr Bischof Feige, in diesem Jahr hat Ihr Bistum meinen Vater und seinen Anwalt erneut hingehalten. Zweimal baten Sie um einen Zeitaufschub, um dann miteinander über einen Vergleich zu sprechen. Sie haben Hoffnung geweckt! Hoffnung, dass mein Vater endlich eine faire Entschädigung bekommt, die es uns und vor allem mir ermöglicht, den Schaden, den die Vergewaltigungen durch Pfarrer Kamphusmann angerichtet haben, aufzufangen. Und jetzt, nach Monaten, ruft eine Sekretärin beim Anwalt meines Vaters an und lässt ausrichten, das Bistum Magdeburg sei nicht zuständig, weil die Bistumsgrenzen damals, als der Missbrauch stattfand, andere gewesen seien??? Geht’s noch, Herr Bischof??? Der Missbrauch, die unzähligen Vergewaltigungen meines Vaters und die sieben Versetzungen von Pfarrer Kamphusmann fanden auf dem Territorium des jetzigen Bistums Magdeburg statt. Und Sie fühlen sich NICHT ZUSTÄNDIG??? Jetzt reicht’s, Herr Bischof!!!
Jahrelange und immer wiederkehrende Depressionen meines Vaters überschatten unser Familienleben und dann kam auch noch die Darmkrebs-Scheiße dazu. Herr Bischof, nochmal, damit Sie es vielleicht irgendwann verstehen: Jahrelang hat es meine Mutter übernommen und jetzt, seit eineinhalb Jahren räume ich die „Scheiße“ weg, die Sie und Ihre Kollegen angerichtet haben! Wir als Familie tragen den Schaden und wir tragen Verantwortung füreinander und was machen Sie? Sie verweisen jetzt, nach Jahrzehnten, in denen mein Vater vergeblich versucht hat, mit Ihnen auf Augenhöhe zu kommunizieren, darauf, dass Sie NICHT ZUSTÄNDIG sind? Jetzt, wo es endlich mal um eine faire Entschädigung gehen soll, eine, die uns wirklich HILFT, da verweisen Sie auf Ihre Kollegen nebenan?
Ich könnte Ihnen jetzt zahlreiche Ideen schreiben, wie Sie mir trotz Ihrer „Nicht Zuständigkeit“ helfen können. Es gibt etwas, das heißt „Kommunikation“ und „Hilfsbereitschaft“ und „Verantwortung“. Aber das müssten Sie doch selbst wissen? Sie sind doch schon erwachsen? Oder nicht?
Herr Bischof Feige, wenn tatsächlich das andere Bistum „zuständig“ ist – jetzt auf einmal??? – dann sind Sie doch hoffentlich so kompetent, mit Ihren Brüdern von nebenan zu sprechen? Zu vermitteln, denen den Fall zu schildern und über die sieben Versetzungen des Pfarrer Kamphusmann zu berichten? Und bitte berichten Sie auch über meinen Vater, und das, was an ihm verbrochen wurde, denn Sie sind inzwischen Jahrzehnte „mit ihm bekannt“. Es wäre eine große Belastung, wenn wir bei der Bewältigung der „Scheiße“ erneut nochmal und nochmal über das Erlebte berichten müssten.
Ich gehe hoffnungsvoll davon aus, dass Sie und Ihre Kollegen zu dem Schluss kommen werden, dass die Verjährungsfristen bei sexualisierter Gewalt unangemessen sind und dass Sie einen gemeinsamen Weg für eine faire Entschädigung finden und umsetzen!
Hoffnungsvolle Grüße, dass Sie doch noch Verantwortung übernehmen,
Kristin Denef
(Tochter eines Opfers von sexualisierter Gewalt in der Katholischen Kirche)
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